HAZ: Polizei räumt besetztes Haus am Klagesmarkt

In Hannover ist am Mittwochabend ein leerstehendes Haus am Klagesmarkt besetzt worden. Die Aktivisten wollten gegen steigende Mieten und Wohnungsnot protestieren. Am frühen Donnerstagmorgen räumte die Polizei das Haus. Gegen neun Personen wird nun ermittelt.

Hannover. Mehrere linke Aktivisten haben am Mittwochabend ein leerstehendes Haus am Klagesmarkt in Hannover besetzt. Mit der Aktion wollte die Gruppe auf die soziale Ungerechtigkeit in der Stadt aufmerksam machen. Gegen 5 Uhr am Donnerstagmorgen räumte die Polizei das Haus. „Wir haben neun Personen aus dem Gebäude begleitet“, sagte Behördensprecher Thorsten Schiewe am Donnerstagmittag. Verletzt wurde nach seinen Angaben niemand. „Sie leisteten auch keinen Widerstand.“

„Es geht um Enteignung, Gentrifizierung und steigende Mieten“, sagte ein Sprecher der Aktivisten, der sich selbst Wilhelm nennt, am Mittwochabend. Nach seinen Angaben wird das historische Gebäude aus dem 19. Jahrhundert seit mindestens vier Jahren nicht mehr genutzt. „Leerstand ist das Gegenteil von sozialer Verantwortung.“ Die Aktivisten kritisierten auch nach der Räumung, dass das Haus nicht genutzt werde. Am Donnerstag sei ein Gespräch mit den Nachbarn geplant gewesen, „um bei Kaffee und Kuchen gemeinsame Pläne für die Nutzung des Hauses zu entwickeln“, schreiben sie in einer Mitteilung. Die Besetzung habe „die unmittelbare Dringlichkeit der Wohnungsfrage“ verdeutlicht.

Transparente an Fassade enthüllt

Die Hausbesetzung begann friedlich gegen 19.30 Uhr. Die Aktivisten und Sympathisanten saßen zu Beginn vor dem Haus, tranken Bier und aßen mitgebrachte Suppe. Gleichzeitig wurden Transparente an der Fassade aufgehängt. Darauf sind unter anderem „Keine Profite mit der Miete“ und „Werft ihr uns aus diesem Haus, suchen wir das nächste aus“ zu lesen. Zwei Mitarbeiter des städtischen Ordnungsamtes gingen gegen 20 Uhr reaktionslos im Rahmen ihrer Patrouille am besetzten Haus vorbei.

In einem Flyer mit der Aufschrift „Enteignen – Jetzt“, den die Aktivisten am Abend an Passanten verteilt hatten, äußerten die Hausbesetzer ihre Abneigung gegen steigende Mieten und begrenzten Wohnraum. „Statt sich an den Mietern zu orientieren, geht es in der Verwaltung von Wohnraum vor allem um die Profite von Eigentümern und Hausverwaltungen“, heißt es darin. Hannover liege mittlerweile auf Platz elf der teuersten Städte. „All dies begünstigt Wohnungsnot, Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit.“

Protest gegen Wohnungsnot

Geht es nach den Hausbesetzern, sollte das Gebäude zum Wohnen genutzt werden. Darüber hinaus überlegen sie, die ehemaligen Geschäfte im Erdgeschoss für kulturelle Zwecke zu nutzen. „Das Haus befindet sich in bester Innenstadtlage, wieso lässt man so etwas leer stehen?“, fragt Aktivist Mehmet – ebenfalls ein Pseudonym. Aus diesem Grund hätte sich die Gruppe nun dazu entschlossen, „etwas zu tun“. Auch vor dem besetzten Haus hatten sich rasch bis zu 100 Sympathisanten versammelt, die teils ebenfalls bis in die Nacht hinein vor Ort blieben.

Kleinere Auseinandersetzung mit der Polizei

Die Polizei traf gegen 21.15 Uhr mit zahlreichen Kräften am Klagesmarkt ein, darunter auch mit Diensthunden. Die Beamten hatten sich zunächst in Höhe des Astor-Kinos gesammelt, um dann wenig später geschlossen vor dem besetzten Haus vorzufahren. Zu dem Zeitpunkt hatten sich die rund 70 Protestler vor dem Hauseingang postiert, im zweiten Stockwerk hielten zwei Hausbesetzer bengalische Fackeln aus den Fenstern. Gegen 22.15 Uhr gab es eine kleinere Auseinandersetzung zwischen Aktivisten und Beamten, eine Person soll mitgenommen worden sein. Der Grund für das Scharmützel ist unklar. Danach beruhigte sich die Lage vorerst wieder.

Verhandlungen scheitern in der Nacht

Gemeinsam mit linken und grünen Mitgliedern des Bezirksrats Mitte versuchte die Polizei im Anschluss bis tief in die Nacht, die Hausbesetzung friedlich zu beenden. Auch Gwendolin von der Osten, Leiterin der Polizeiinspektion Mitte, war vor Ort und suchte das Gespräch mit den Aktivisten. Gegen Mitternacht trafen Eigentümer des besetzten Hauses am Klagesmarkt ein und verhandelten gemeinsam mit Polizei und Politikern mit den Aktivisten.

Allerdings erklärten diese gegenüber der HAZ die Gespräche gegen 1 Uhr als gescheitert. Während die Besetzer weiterhin daran festhielten, das Gebäude als Wohnraum und für kulturelle Zwecke nutzen zu wollen, forderten die Besitzer die sofortige Räumung. Im Gegenzug boten sie laut Polizei weitere Gespräche am Donnerstag an. Ein Kritikpunkt der Hausbesetzer war offenbar, dass die Eigentümer nicht eine gegen sie gerichtete Anzeige zurückzogen.

Zugriff der Polizei um 5 Uhr

Um 5 Uhr begann schließlich die Räumung durch die Polizei. Unter Schutzkleidung und mit einer Ramme verschafften sich die Beamten Zutritt zum besetzten Haus und führten mehrere Personen ab. Nach der Identitätsfeststellung wurden die Hausbesetzer vorerst wieder entlassen. Laut Polizeisprecher Schiewe wird wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung gegen die neun Hausbesetzer ermittelt, die während der Räumung angetroffen worden waren.

Auf Instagram sind mittlerweile Bilder aus dem Inneren des Hauses aufgetaucht. Die Aktivisten hatten unter anderem „Riot“ (engl. für Krawall), „Fight Borders“ (Grenzen abschaffen) und „Refugees Welcome“ (Flüchtlinge willkommen) an Zimmerwände geschmiert. Auch nach der Räumung blieb das Haus unter Polizeischutz, damit es nicht erneut besetzt wird – die Beamten sind noch immer vor Ort.

Grüne Jugend unterstützt Hausbesetzer

Timon Dzienus, Sprecher der Grünen Jugend in Niedersachsen, äußerte noch am Mittwochabend seine Unterstützung für die Hausbesetzer. „Wohnraum für alle!“ schrieb er auf Twitter und kritisierte in einem anderen Beitrag: „Der Staat schafft es nicht, das Menschenrecht auf Wohnen oder zumindest halbwegs bezahlbare Wohnungen für alle zu garantieren, aber innerhalb weniger Minuten ist die Bereitschaftspolizei mit Hunden da.“

Die Jungen Liberalen der Region Hannover verurteilten die Aktion am Donnerstag: „Wir wissen, in was für einer schwierigen Lage sich diejenigen in unserer Stadt befinden, die auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum sind“, sagt Katharina Wieking. „Das ist für uns aber kein Grund, eigenmächtig in das Recht auf Eigentum einzugreifen.“ Stattdessen seien „sinnvolle politische Maßnahmen zu ergreifen, um die Wohnungsknappheit zu bekämpfen“.

Immer wieder Hausbesetzungen

Immer wieder haben Linksautonome in den vergangenen Jahren Häuser in Hannover besetzt – unter anderem in Linden. Dort nahmen die Aktivisten zum Beispiel im Dezember 2014 ein verlassenes Gebäude an der Dieckbornstraße in Beschlag. Zweimal traf es sogar die ehemalige Polizeiinspektion West an der Gartenallee. Das Gebäude wurde im November 2011 und dann nur wenige Wochen später in der Silvesternacht besetzt. Ebenfalls im Dezember 2014 gab es eine Hausbesetzung in der Nordstadt. In allen Fällen stürmte die Polizei die Gebäude.

Quelle: https://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Hannover-Aktivisten-besetzen-leerstehendes-Gebaeude-am-Klagesmarkt

Pressemitteilung Hausbesetzung 29.05.2019 am Klagesmarkt

Am Mittwochabend wurde ein Haus am Klagesmarkt besetzt. Zeitweise beteiligten sich 250 Menschen an der Besetzung. Die Räumung durch die Polizei erfolgte in den frühen Morgenstunden des darauf folgenden Tages.

Im Angesicht steigender Mieten und einem Mangel an bezahlbarem Wohnraum haben sich Menschen entschlossen, das seit mindestens vier Jahren leerstehende Haus zu besetzen. Die Ladenflächen im Erdgeschoss des Hauses sollten für soziale und kulturelle Aktivitäten genutzt werden und die Nachbarschaft bereichern.
Für die Zeit der Besetzung war ein vielfältiges Programm mit Konzerten und anderen Kulturveranstaltungen geplant. Am Donnerstag sollte die Nachbarschaft eingeladen werden, um bei Kaffee und Kuchen gemeinsame Pläne für die Nutzung des Hauses zu entwickeln. Leider konnte diese Idee nicht in die Tat umgesetzt werden, da die Eigentümer*innen es vorzogen einen Strafantrag zu stellen und damit noch in der Nacht die Räumung des Hauses durch die Polizei zu veranlassen. Gesprächsangebote der Besetzer*innen über Nutzungsmöglichkeiten wurden von Seiten der Eigentümer*innen zurückgewiesen; augenscheinlich ist stattdessen ein weiterer Leerstand gewünscht.
Zwischen fünf und sieben Uhr morgens wurde das Haus von einem massiven Polizeiaufgebot geräumt. Dabei waren schätzungsweies 300 Polizist*innen mit Verstärkung aus verschiedenen niedersächsischen Städten wie Celle und Lüneburg im Einsatz. Acht Personen wurden dabei im Haus angetroffen. Ihnen droht jetzt eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs.

Die Besetzung fällt in eine Zeit, in der immer deutlicher zu Tage tritt, dass eine Versorgung mit angemessenem Wohnraum nicht über den freien Markt garantiert werden kann. Bundesweit werden Forderungen laut, Immobilienkonzerne zu enteignen und in die Gemeinnützigkeit zu überführen.
Die gestrige Besetzung verdeutlicht die unmittelbare Dringlichkeit der Wohnungsfrage: Es kann nicht darauf gewartet werden, dass der Staat sich der Enteignung von Immobilienunternehmen annimmt. Solange Menschen in prekären Wohnverhältnissen leben, Mieter*innen aus ihren Stadtteilen verdrängt werden und Menschen auf der Straße erfrieren, besteht die Notwendigkeit direkt zu handeln.

Leerstehendes Haus am Klagesmarkt in Hannover besetzt!

Der Wohnungsmarkt und das Angebot an Wohnungen in Hannover verändern sich zunehmend gegen die Interessen der Mieter*innen. In vielen Stadtteilen sind steigende Mieten, ausbleibende Instandsetzung von Häusern, aggressive Entmietungsstrategien und Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen zu beobachten. Mit durchschnittlichen 6,91€/qm ist Hannover mittlerweile bundesweit auf Platz 11 der teuersten Städte, auch Mietpreise von über 10€/qm sind in einzelnen Stadtteilen keine Seltenheit mehr. Die Suche nach einer neuen Wohnung ist häufig lang oder erfolglos.

All dies begünstigt Wohnungsnot, Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit!

Statt sich an den Mieter*innen zu orientieren, geht es in der Verwaltung von Wohnraum vor Allem um die Profite von Eigentümer*innen und Hausverwaltungen. Im Vergleich zu einer preiswerten Vermietung lohnt sich unter anderem der Leerstand als Spekulationsobjekt. Leerstand wirkt zwar irrational, ist aber ein konsequenter Ausdruck der steuerrechtlichen und finanzwirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Immobiliengeschäftes.

Initiativen wie Nordstadt Solidarisch, Bumke Selber Machen und das Kiezkollektiv sind entstanden, um der aktuellen Entwicklung des Wohnungsmarktes etwas entgegen zu setzen. Zudem wurde in Berlin die Forderung laut, Immobilienkonzerne auf Basis des Grundgesetzes zu enteignen. Wir begrüßen all diesen Widerstand, wollen aber mit der Enteignung von leerstehenden Häusern nicht auf das Handeln des Staates warten.

Deswegen haben wir uns organisiert, um das leerstehende Haus am Klagesmarkt zu besetzen!

In diesem Haus soll ein Wohnprojekt entstehen, in dem Menschen unabhängig von ihrer finanziellen Situation leben können. Zudem soll in den Ladenflächen im Erdgeschoss Raum für kulturelles und politischen Aufeinandertreffen geschaffen werden.

Wir laden herzlich dazu ein, sich an der Besetzung zu beteiligen, zu unterstützen oder sich auszutauschen.

Gemeinsam gegen Eigentumsverhältnisse, Verdrängung und Kapitalismus!

WOHNRAUM FÜR ALLE!